Baukunst -Regionale Planungsstrategien: Schleswig-Holstein und Hamburg im Vergleich
Tag der Architektur © Architektenkammer

Schöner Wohnen im Industrieerbe – Wie NRW seine Vergangenheit neu erfindet

22.06.2025
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Berthold Bürger

Vielfalt zwischen Tradition und Transformation

Der Tag der Architektur 2025 in NRW zeigt die Bandbreite regionaler Baukultur

Am 28. und 29. Juni 2025 öffnen in Nordrhein-Westfalen 155 Architekturen ihre Türen unter dem bundesweiten Motto „Vielfalt bauen“. Was auf den ersten Blick nach einer weiteren Architekturveranstaltung klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als facettenreiche Bestandsaufnahme der spezifischen Herausforderungen und Lösungsansätze eines Bundeslandes, das wie kein anderes die Spannungen zwischen industrieller Vergangenheit und nachhaltiger Zukunft verkörpert.

Die regionale Ausprägung des Tags der Architektur in NRW spiegelt die einzigartige Siedlungsstruktur wider: Von der Metropolregion Rhein-Ruhr, einem der 30 größten Ballungsräume der Welt, bis zu den Schlosslandschaften des Münsterlandes oder den Fachwerkstrukturen Ostwestfalens. Diese polyzentrische Struktur prägt nicht nur die Bauaufgaben, sondern auch die unterschiedlichen Planungskulturen innerhalb des Landes.

Regionale Bautraditionen im Dialog mit der Gegenwart

Die territoriale und konfessionelle Zersplitterung Nordrhein-Westfalens führte historisch zu einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturräume mit entsprechend verschiedenen Siedlungs- und Bauformen. Diese Heterogenität erweist sich heute als Stärke: Während im Rheinland klassische Ziegelbauweise und städtische Verdichtung dominieren, zeigt das Münsterland eher ländlich geprägte Ansätze mit starkem Bezug zur Landschaftsarchitektur. Ostwestfalen-Lippe wiederum punktet mit innovativen Holzbaukonzepten, die an regionale Handwerkstraditionen anknüpfen.

Die Architektenkammer NRW nutzt diese Vielfalt geschickt als Vermittlungsinstrument. Mit dem jährlichen Tag der Architektur vermitteln Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten sowie Stadtplanerinnen und Stadtplaner in ganz NRW einen Eindruck von der Architektur-Vielfalt, die NRW in all seinen Regionen zu bieten hat. Dabei geht es nicht um oberflächliche Regionalromantik, sondern um die Übertragbarkeit gelungener Ansätze zwischen den Teilräumen.

Strukturwandel als Planungsaufgabe

Besonders deutlich wird die regionale Spezifik beim Umgang mit dem industriellen Erbe. Kaum eine andere Region Europas bietet so viele herausragende Industriebauwerke wie Nordrhein-Westfalen. Die Transformation dieser Strukturen – von der Zeche Zollverein bis zu ehemaligen Produktionsstandorten – erfordert maßgeschneiderte Lösungen, die beim Tag der Architektur exemplarisch gezeigt werden.

Wie beispielsweise neuer Wohnraum in ehemaligen Gewerbebauten realisiert werden kann, zeigt die gelungene „Metamorphose alter Fabrikgebäude in attraktiven Wohnraum“ in Langenfeld oder die „Umnutzung einer Scheune zu Wohnungen und Ladenlokal“ in Erkelenz. Diese Projekte dokumentieren nicht nur architektonische Qualität, sondern auch regionale Expertise im Umgang mit der gebauten Vergangenheit.

Klimaschutz mit regionaler Ausprägung

Das grundlegende Thema „Klimaschutz“ ist zum zentralen Fokus beim Planen und Bauen geworden, wie die zahlreichen Projekte zur Um- und Weiternutzung des Gebäudebestandes sowie zur energetischen Sanierung zeigen. Dabei entwickeln sich durchaus regionale Schwerpunkte: Während im dicht besiedelten Ruhrgebiet Nachverdichtungsstrategien und urbane Klimaanpassung im Vordergrund stehen, beschäftigen sich ländlichere Gebiete verstärkt mit dezentralen Energiekonzepten und ressourcenschonenden Bauweisen.

Die Bandbreite reicht von experimentellen Ansätzen wie den „:modellhäuser :metabolon“ in Lindlar, die ressourcenintelligente und flächensparende Bauweisen erproben, bis zum „Living Lab NRW“ in Wuppertal, mit dem klimaneutrales und nachhaltiges Bauen in der Stadt erforscht wird. Diese Pilotprojekte zeigen, wie sich übergeordnete Nachhaltigkeitsziele regional spezifisch umsetzen lassen.

Baukulturvermittlung als regionale Aufgabe

Rund 13.000 Interessierte wollten am zurückliegenden Wochenende in Nordrhein-Westfalen wieder Architektur live vor Ort erleben. Diese beeindruckende Resonanz verdeutlicht das spezifische Interesse an regionaler Baukultur. Das jährliche Architekturfestival zeichnet aus, dass Besucherinnen und Besucher dabei ein Wochenende lang „hinter die Kulissen“ der Objektplanung und -realisierung blicken und im Gespräch mit Architektur-schaffenden sowie Hausbesitzerinnen und Nutzerinnen viel erfahren können.

Die regionale Vernetzung funktioniert dabei auf mehreren Ebenen: Neben der landesweiten Koordination durch die Architektenkammer NRW entwickeln sich spezifische Kooperationen zwischen Teilräumen. So entstehen Synergien zwischen den unterschiedlichen Planungskulturen, ohne dass regionale Eigenarten nivelliert werden.

Herausforderungen der polyzentrischen Struktur

Die polyzentrische Struktur Nordrhein-Westfalens bringt jedoch auch spezifische Planungsherausforderungen mit sich. Interkommunale Abstimmung zwischen 396 Gemeinden erfordert andere Koordinationsmechanismen als in flächenmäßig kleineren Bundesländern. Interkommunale Zusammenarbeit als Erfolgsrezept: Die Landesregierung setzt die seit der Jahrtausendwende bereits in acht Landesteilen umgesetzte Strukturförderung REGIONALE in den Jahren 2022 und 2025 fort.

Der Tag der Architektur fungiert hier als wichtiges Kommunikationsinstrument zwischen den Planungsebenen. Gelungene Projekte aus einer Region können andere Teilräume inspirieren, ohne dass eine Top-down-Vereinheitlichung stattfindet. Diese horizontale Vernetzung erweist sich als besonders wertvoll bei der Bewältigung ähnlicher Herausforderungen in verschiedenen Landesteilen.

Ausblick: Baukultur als Standortfaktor

Durch die Präsentation unterschiedlichster Projekte wird nicht nur deren gestalterische Qualität verdeutlicht, sondern auch die Aspekte der Nachhaltigkeit, der Ressourcenschonung und der Kreislaufwirtschaft. Diese thematische Breite spiegelt die Erkenntnis wider, dass Baukultur längst zu einem weichen Standortfaktor geworden ist – gerade in einem Bundesland, das sich vom Industrie- zum Technologie- und Dienstleistungsstandort wandelt.

Die regionale Ausprägung des Tags der Architektur in NRW zeigt exemplarisch, wie sich bundesweite Themen territorial spezifisch übersetzen lassen. Von der Nachnutzung industrieller Brachen im Ruhrgebiet über klimaangepasste Quartiersentwicklung im Rheinland bis zu nachhaltigen Dorfkernsanierungen in ländlichen Gebieten – die Bandbreite der gezeigten Lösungsansätze dokumentiert die planungskulturelle Kompetenz eines Bundeslandes, das Transformation als Gestaltungsaufgabe begreift. mehr…