Kammer gegen Kontrollwahn – Warum Bayerns Architekten die Realität der Fortbildung neu definieren
Die bayerische Architektenkammer hat kürzlich ein klares Zeichen gesetzt: Eine Mehrheit ihrer Vertreterversammlung sprach sich gegen die Einführung zusätzlicher Kontrollen zur Fortbildung der Kammermitglieder aus. Ein Beschluss, der nicht nur Symbolkraft besitzt, sondern auch die Schieflage eines bürokratischen Systems verdeutlicht, das zunehmend praxisfern agiert. Während Fortbildung an sich unbestritten notwendig ist, verdeutlicht dieser Schritt, dass Architektinnen und Architekten längst tagtäglich fortgebildet werden – durch ihre Bauprojekte, durch den Wandel der technischen Anforderungen und die Anpassung an neue gesetzliche Rahmenbedingungen.
Fortbildung – Pflicht mit doppeltem Boden?
In der Architektur gehört lebenslanges Lernen zum Berufsalltag. Neue Bauweisen, Materialien und Technologien verlangen ständige Weiterentwicklung, um den eigenen Entwurf realistisch und nachhaltig umzusetzen. Diese Art der Fortbildung findet täglich in jedem Büro statt. Architektinnen und Architekten sind im ständigen Austausch mit Fachplanern, Ingenieuren und Behörden, sie koordinieren Prozesse und lösen praktische Probleme – oft unter Hochdruck und innerhalb eng gesetzter Fristen. Trotz dieser unaufhörlichen Weiterentwicklung und der gelebten Praxis streben manche Bundesländer nach formalisierten Nachweisen. Vorgaben zu Pflichtstunden, Zertifikaten und Punktesystemen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll, in der Realität jedoch entpuppen sie sich häufig als zusätzlicher Belastungsfaktor. Der Beschluss der bayerischen Architektenkammer verdeutlicht ein Kernproblem: Der Büroalltagvieler Architekturbüros, vor allem der kleinen und mittelständischen, wird durch solche Nachweispflichten unnötig erschwert. Was in einem Konzernbetrieb organisatorisch zu bewältigen wäre, stellt für kleinere Strukturen oft eine kaum zu stemmende Herausforderung dar.
Wenn Theorie auf Praxis trifft: Der Büroalltag als Fortbildung
In jedem Bauprojekt spiegelt sich gelebte Fortbildung wider. Ein Planungsprozess bedeutet für Architektinnen und Architekten, ständig auf dem neuesten Stand zu sein. Die Klärung baurechtlicher Fragen, der Umgang mit innovativen Materialien oder der Einsatz energieeffizienter Lösungen verlangt aktuelles Wissen und praxisnahe Anpassungsfähigkeit. Der Baualltag lässt keine Wissenslücken zu. Die Fortbildungskontrolle hingegen stellt diesen Prozess in Frage. Sie setzt voraus, dass nur formale Seminare, zertifizierte Kurse oder akademische Weiterbildungen den Status einer „echten Fortbildung“ erfüllen. Die Erkenntnisse aus dem tagtäglichen Schaffen – dem eigentlichen Prüfstein der Kompetenz – bleiben hingegen weitgehend unberücksichtigt. Besonders problematisch wird dies für kleinere Architekturbüros, in denen die Zeit knapp und die Ressourcen begrenzt sind. Wo große Büros Personal für solche Nachweispflichten abstellen können, müssen Einzelkämpfer und mittelständische Strukturen Kompromisse eingehen – oft zulasten der realen Projektarbeit.
Der finanzielle Druck wächst
Auch die Kosten spielen eine Rolle. Formelle Fortbildungen, oft von anerkannten Anbietern durchgeführt, sind nicht günstig. Neben Kursgebühren kommen Ausgaben für Anreise, Übernachtung und den eigentlichen Arbeitsausfallhinzu. Für kleinere Büros summieren sich diese Faktoren schnell zu einer signifikanten finanziellen Belastung. Zwar sind diese Fortbildungsmaßnahmen häufig von hoher Qualität, doch der tatsächliche Nutzen steht für viele Architektinnen und Architekten nicht immer im Verhältnis zum Aufwand. Ein Seminarbesuch zu aktuellen Bauvorschriften mag einen Mehrwert bringen, die gleiche Thematik erarbeiten Architekten jedoch oft schon parallel in realen Projekten – und das mit unmittelbarem Praxisbezug.
Entbürokratisierung als Lösungsansatz
Der Schritt der bayerischen Architektenkammer eröffnet die Debatte über sinnvollere Lösungen zur Fortbildungskontrolle. Eine stärkere Anerkennung von Berufspraxis als Fortbildung könnte die Balance zwischen Effizienz und Qualität wiederherstellen. Denn die tägliche Arbeit ist häufig die beste Schule – anspruchsvoll, unmittelbar und realitätsnah. Alternativ könnten flexiblere Nachweissysteme eingeführt werden, etwa durch praxisorientierte Berichte oder Portfolios, die die eigene Fortbildung dokumentieren. Solche Systeme existieren bereits in anderen Ländern und könnten auch in Deutschland als Vorbild dienen.
Ein Zeichen gegen Überregulierung
Der Beschluss der bayerischen Architektenkammer zeigt: Es ist Zeit, Vertrauen in die berufliche Praxis der Architektinnen und Architekten zu setzen. Überregulierung und Kontrollmechanismen führen nicht automatisch zu mehr Qualität, sondern eher zu Frust und Mehraufwand. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel und steigenden Anforderungen im Bauwesen müssen bürokratische Hürden abgebaut werden, um Ressourcen dort zu nutzen, wo sie wirklich gebraucht werden: im Bauprozess selbst.
Fazit: Weniger Bürokratie, mehr Praxisnähe
Fortbildung ist und bleibt essenziell – darüber besteht kein Zweifel. Doch sie muss im Einklang mit der Realität des Architektenberufs stehen. Ein modernes, unbürokratisches System, das Praxiswissen und alltägliche Weiterbildunganerkennt, wäre der richtige Weg. Der Beschluss der bayerischen Architektenkammer ist nicht nur ein Signal für ihre Mitglieder, sondern auch ein Appell an andere Bundesländer, das System der Fortbildungsnachweise zu hinterfragen und praxisnäher zu gestalten. Denn letztlich zeigt sich Qualität nicht auf einem Zertifikat, sondern in der gebauten Realität.