
Die Konstruktion der Provokation
Patrik Schumacher, Principal von Zaha Hadid Architects, hat sich wieder einmal ins Zentrum einer architekturpolitischen Debatte manövriert – oder besser: hineinmanövriert. In einem 13.000 Wörter umfassenden Essay mit dem Titel The End of Architecture, erschienen in der Zeitschrift Khōrein, zieht er über den angeblichen „Woke Take-Over“ in der Disziplin her. Der Begriff, ursprünglich aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung stammend, wird hier zur rhetorischen Abrissbirne gegen das, was Schumacher als politisch aufgeladene, intellektuell entkernte Architekturwelt beschreibt. Er spricht vom „Selbstauflösungsprozess“ der Architektur, von einem Rückfall in bloßes Handwerk, von ideologischen Biennalen ohne Architektur und von der gefährlichen Abkehr vom entwerferischen Kernauftrag. Dabei nutzt er eine Sprache, die eher an einen politischen Brandbrief erinnert als an einen wissenschaftlichen Diskursbeitrag.
Theorie als Stilmittel: Der Parametrismus
Schumacher, der mit seiner Theorie des Parametrismus eine eigenständige architektonische Stilrichtung für das 21. Jahrhundert reklamierte, sieht sich selbst als letzten Verteidiger einer intellektuell geleiteten Disziplin. In seinen Augen sind sämtliche Architekturstile außer dem von ihm propagierten parametrischen Entwerfen „retro“ – ein Befund, der weniger durch analytische Tiefe als durch dogmatische Ausschließlichkeit auffällt. Diese Zuspitzung folgt einem bekannten Muster: Wo Differenzierung möglich wäre, setzt Schumacher auf ideologische Polarisierung. Statt die Vielfalt der gegenwärtigen Architekturproduktion als pluralistisch zu würdigen, erklärt er sie kurzerhand für regressiv.
Vom Reißbrett zur Rede – eine akademische Offensive
Sein Text spart auch die akademische Welt nicht aus. Architekturlehrstühle und Zeitschriften, so Schumacher, hätten sich zu Echokammern „woker Studien“ und symbolischer Gesten entwickelt. Die Konsequenz: Die eigentliche Aufgabe der Architektur – das entwerferische Gestalten gesellschaftlicher Räume – sei aus dem Fokus geraten. Kritik an studentischen Entwürfen werde heute vermieden, die klassische Entwurfslehre sei unter dem Verdacht der „toxischen Kultur“ ins Abseits geraten. Diese Diagnose spricht ein bekanntes Unbehagen in der Lehre an, aber Schumacher macht es sich zu leicht: Er verwechselt die kritische Reflexion über Disziplin und Macht mit Beliebigkeit und intellektuellem Ausverkauf.
Architektur als Gesellschaftskritik – ein überfälliger Perspektivwechsel?
Ironischerweise scheinen viele der Entwicklungen, die Schumacher verdammt, Ausdruck einer Erweiterung des architektonischen Verantwortungsbereichs zu sein. In einer Welt wachsender sozialer Ungleichheiten, ökologischer Krisen und postkolonialer Perspektivwechsel ist es kaum überraschend, dass Architektur nicht mehr nur Form, sondern auch Haltung sein will.
Der Vorwurf des „impotenten Virtue Signalling“ greift daher zu kurz. Vielmehr zeugt er von einem Verständnis von Disziplin, das ihre gesellschaftliche Funktion auf bauliche Formgebung und interne Theorieentwicklung beschränkt. Dass sich viele Architektinnen und Architekten heute auch als Akteurinnen und Akteure eines sozialen Wandelsbegreifen, entgeht dieser Perspektive konsequent.
Die Inszenierung des Widerstands – Marketing oder Manifest?
Schumacher ist kein Unbekannter, wenn es darum geht, mit Thesen öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Seine frühere Forderung nach Abschaffung des Sozialwohnungsbaus und Privatisierung öffentlicher Räume sorgte bereits 2016 für einen Aufschrei – sogar innerhalb seines eigenen Büros. Man könnte also argumentieren, dass seine aktuelle Polemik weniger einem inhaltlichen Wandel, sondern vielmehr einer durchdachten Strategie der Zuspitzung folgt. In einer Branche, in der mediale Präsenz oft über Auftragslage entscheidet, bleibt fraglich, ob sein Essay als ernsthafte Disziplinenanalyse oder als performativer Affront zu lesen ist.
Ein notwendiger Diskurs – aber mit anderen Mitteln
Schumacher rührt an einem wunden Punkt: Die Frage, welche Rolle Architektur heute spielen soll, ist tatsächlich offen. Soll sie reines Handwerk bleiben oder gesellschaftlicher Akteur sein? Soll sie gestalterisch autonom oder politisch engagiert sein? Diese Debatte ist nötig, aber sie verdient differenzierte Argumente – keine Kampfbegriffe.
Die Zukunft der Architektur liegt weder im Rückzug auf parametrische Formen noch in der bloßen Abbildung politischer Agenden. Sie liegt in der Balance – zwischen Form und Verantwortung, Theorie und Praxis, Ästhetik und Ethik.

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