Baukunst-Elbtower bleibt kein Rohbau: Beckens Übernahme sorgt für Aufsehen
©Lukas Menzel auf Unsplash

Der St. Pauli-Komplex: Wie ein Vorzeigeprojekt zum Symbol städtischer Ohnmacht wurde

24.10.2024
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Ignatz Wrobel

Vom Leuchtturm zur Bauruine

Wo einst die legendären Esso-Häuser standen, wuchert heute das Unkraut zwischen Bauzäunen. Der Spielbudenplatz, traditionell das pulsierende Herz von St. Pauli, starrt seit einem Jahrzehnt auf eine städtebauliche Wunde. Das geplante Paloma-Quartier sollte hier als Musterbeispiel modernder Stadtentwicklung entstehen – mit 60 Prozent Sozialwohnungen, ohne Eigentumswohnungen, dafür mit reichlich Raum für die charakteristische Kiezkultur. Ein architektonisches Statement, das beweisen sollte, dass sozialverträgliche Stadtentwicklung auch im Zeitalter der Immobilienspekulation möglich ist.

Der St. Pauli Code – mehr als nur Marketing

Die Bayerische Hausbau als Investor hatte 2018 große Versprechen gemacht. In einem für Hamburg beispiellosen Beteiligungsverfahren entstand der sogenannte „St. Pauli Code“ – ein Regelwerk, das die DNA des Stadtteils in Architektur übersetzen sollte. Die eigens eingerichtete „Planbude“ sammelte Ideen und Ansprüche der Anwohnerinnen und Anwohner. Das Ergebnis: Ein „Kosmos aus dreizehn Häusern und einer Gasse“ sollte entstehen, der Wohnen, Kultur und Gewerbe zu einem organischen Ganzen verbindet.

Wenn Träume an der Realität zerschellen

Der architektonische Entwurf überzeugte durch seine geschickte Balance zwischen Verdichtung und Freiraum. Ein großzügiger Stadtteilbalkon öffnet das Ensemble zum öffentlichen Raum, während die gestaffelte Höhenentwicklung einen respektvollen Dialog mit der Umgebungsbebauung sucht. Doch was auf dem Papier überzeugt, scheitert an der ökonomischen Realität: Steigende Baukosten und Zinsen ließen das Projekt ins Stocken geraten.

Das Dilemma der partizipativen Planung

Als Architekt mit jahrzehntelanger Erfahrung erkenne ich hier ein grundlegendes Dilemma: Partizipative Planung erzeugt Komplexität, die sich in Kosten niederschlägt. Die aktuellen Marktbedingungen verschärfen diesen Konflikt. Wenn selbst ein finanzstarker Investor wie die Bayerische Hausbau zurückschreckt, stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Machbarkeit solch ambitionierter Stadtentwicklung.

Die Stadt in der Pflicht

Die Hamburger Stadtentwicklung steht nun vor einer Grundsatzentscheidung. Der potenzielle Verkauf an die städtische SAGA GWG könnte eine Lösung sein, birgt aber die Gefahr der Verwässerung des ursprünglichen Konzepts. SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf deutete bereits an, dass das „Ursprungskonzept unter den jetzigen Rahmenbedingungen“ möglicherweise nicht zu realisieren sei.

Performance statt Bagger

In der Zwischenzeit macht die Kunst aus der Not eine Tugend: Ein Megafon-Chor unter Leitung der Performancekünstlerin Sylvi Kretzschmar verarbeitet die Frustration in künstlerische Intervention. „Was weg ist, ist weg / und kommt nie wieder“, skandieren die Performerinnen – eine düstere Prophezeiung für ein Projekt, das als Hoffnungsträger startete.

Lehren für die Zukunft

Das Paloma-Quartier reiht sich damit ein in eine lange Liste gescheiterter Großprojekte. Doch anders als bei der HafenCity oder der Entwicklung in Wilhelmsburg liegt das Scheitern hier nicht in mangelnder Bürgerbeteiligung oder fehlendem Konzept. Im Gegenteil: Die intensive Partizipation hat ein durchdachtes, ortstypisches Projekt hervorgebracht. Das eigentliche Problem liegt in der Diskrepanz zwischen gesellschaftlichem Anspruch und wirtschaftlicher Machbarkeit.

Fazit: Ein Weckruf

Das Paloma-Quartier sollte ein Leuchtturmprojekt werden – nun droht es zum Mahnmal zu verkommen. Für die Architekturbranche bedeutet dies: Partizipative Planung braucht neue Finanzierungsmodelle. Die öffentliche Hand muss stärker in die Pflicht genommen werden, wenn sozial ausgewogene Stadtentwicklung mehr sein soll als eine schöne Utopie. Sonst bleiben am Ende nur Zombies mit Megafonen, die von vergangenen Träumen künden.