Baukunst-Deutschlands Wirtschaftsweise plädieren für markante Eingriffe im Wohnungsbau
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Deutschlands Wirtschaftsweise plädieren für markante Eingriffe im Wohnungsbau

14.11.2024
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stu.ART

Paradigmenwechsel im deutschen Wohnungsbau

In einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft merklich schwächelt, richten die Wirtschaftsweisen ihren analytischen Blick erstmals gezielt auf den Bausektor. Der am 13. November 2024 vorgelegte Jahresbericht des Sachverständigenratsmarkiert dabei einen bemerkenswerten Wendepunkt: Statt sich wie gewohnt auf makroökonomische Kennzahlen zu beschränken, wagen die Ökonominnen und Ökonomen konkrete Vorschläge für den Wohnungsbau.

Die Diagnose: Mehr als nur ein soziales Problem

Die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer bringt es auf den Punkt: Die Wohnraumknappheit hemmt nicht nur die soziale Entwicklung, sondern bremst die gesamte Volkswirtschaft. Wenn Fachkräfte keine bezahlbaren Wohnungen in wirtschaftsstarken Regionen finden, leidet die Produktivität. Ein Teufelskreis, den die Wirtschaftsweisen mit einem Dreiklang aus Maßnahmen durchbrechen wollen.

Der Therapievorschlag: Verdichten, Verpflichten, Vereinfachen

1. Die Grundsteuer als Hebel

Eine kleine Stellschraube mit großer Wirkung: Die Orientierung der Grundsteuer am Grundstückswert statt am Gebäude soll Anreize für intensivere Bebauung schaffen. Baden-Württemberg macht es vor – andere Bundesländer könnten folgen.

2. Bauland aktivieren oder verlieren

Der vielleicht kühnste Vorschlag: Eine Bebauungspflicht für neue Baugrundstücke. Wer nicht binnen festgelegter Frist baut, riskiert den Verkauf an die Kommune. Eine Maßnahme, die manchen Bauträger aufschrecken dürfte.

3. Standardisierung als Kostenbremse

Der Gebäudetyp E verspricht 25 Prozent Kosteneinsparung. Flankiert von seriellem und modularem Wohnungsbaukönnte dies den Weg zu bezahlbarem Wohnraum ebnen – vorausgesetzt, die Länder harmonisieren ihre Bauordnungen.

Infrastruktur als Fundament

Die Expertengruppe um Achim Truger denkt weiter: Ein Verkehrsinfrastrukturfonds, gespeist aus Mauteinnahmen, soll Straßen und Schienen fit für die Zukunft machen. Innovative Finanzierungsmodelle innerhalb einer reformierten Schuldenbremse könnten den Modernisierungsstau auflösen.

Kritische Würdigung

Als Architekt mit Praxiserfahrung fällt auf: Die Vorschläge der Wirtschaftsweisen zeigen Mut zur Veränderung. Die Kombination aus Nachverdichtung, Bebauungspflicht und vereinfachten Bauvorschriften könnte tatsächlich Bewegung in den stockenden Wohnungsmarkt bringen.

Allerdings vermisst man Aussagen zur baulichen Qualität und zur Nachhaltigkeit. Der Fokus liegt stark auf quantitativen Aspekten – die architektonische Gestaltung droht zur Nebensache zu werden. Auch die sozialräumlichen Auswirkungen verstärkter Nachverdichtung bedürfen einer sorgfältigen Abwägung.

Fazit: Zwischen Vision und Machbarkeit

Die Wirtschaftsweisen haben mit ihrem Gutachten die Tür zu einer grundlegenden Reform des Wohnungsbaus aufgestoßen. Ihre Vorschläge verdienen eine intensive fachliche Diskussion. Dabei wird es darauf ankommen, ökonomische Effizienz mit gestalterischer Qualität und sozialer Verträglichkeit in Einklang zu bringen. Die Zukunft des Wohnens braucht beides: wirtschaftliche Vernunft und architektonische Vision.