Von Alkovenbetten und Wärmespeichern: Was die klimagerechte Architektur von gestern für das Morgen bereithält
In Zeiten explodierender Energiekosten und drängender Klimafragen richtet sich der Blick zunehmend auf vergessene Bauweisheiten. Das Freilichtmuseum Molfsee präsentiert mit der Ausstellung „Wohltemperiert“ vom 15. November 2024 bis zum 2. November 2025 einen bemerkenswerten Perspektivwechsel: Statt auf Hightech-Lösungen wie Wärmepumpen oder Solarmodule zu setzen, rückt sie die vernakuläre Architektur – also das traditionelle Bauen ohne Architekten – in den Mittelpunkt.
Baukunst aus der Vergangenheit neu entdeckt
Die Ausstellung, die ihre Premiere auf der Nordbau feierte und zuvor im Slowenischen Pavillon der Architektur-Biennale in Venedig zu sehen war, überrascht mit ihrer Aktualität. Mehr als 50 europäische Beispiele traditioneller Baukulturdemonstrieren eindrucksvoll, wie unsere Vorfahren mit erstaunlichem Gespür für Energieeffizienz bauten. Ein faszinierender Aspekt: Sie nutzten dabei ausschließlich lokale Ressourcen und bezogen regionale Wetterverhältnisse geschickt in ihre Planungen ein.
Geniale Einfachheit statt komplexer Technik
Besonders beeindruckend ist die Zeitlosigkeit der vorgestellten Prinzipien. Ein Kaminfeuer wird nicht einfach als Wärmequelle präsentiert, sondern als durchdachter „Hot Spot“, der das gesamte Haus energetisch organisiert. Die räumliche Verdichtung durch abgehängte Decken schafft beheizbare Mikroklimata. Und wer hätte gedacht, dass der traditionelle Alkoven – eine eingebaute Schlafkoje – ein früher Vorläufer moderner Energiesparkonzepte war?
Von Ljubljana nach Molfsee: Eine Ausstellung mit Bodenhaftung
Das Konzept der Ausstellung, entwickelt vom Architekturmuseum Ljubljana (MAO) in Zusammenarbeit mit zwei innovativen Architekturbüros, gewinnt im Freilichtmuseum Molfsee eine zusätzliche Dimension. Anders als in Venedig können Besucherinnen und Besucher hier die theoretischen Erkenntnisse direkt an den historischen Gebäuden des Museums nachvollziehen. Ein clever konzipiertes Booklet mit Quiz-Elementen macht die Erkundung zum interaktiven Erlebnis.
Zukunftsweisendes aus der Vergangenheit
Die Ausstellung ist mehr als ein nostalgischer Rückblick. Sie liefert handfeste Anregungen für die aktuelle Debatte um CO2-Neutralität und Energiewende. Die präsentierten Bauformen zeigen überzeugend, dass klimagerechtes Bauen nicht zwangsläufig komplexer Technologien bedarf. Vielmehr liegt der Schlüssel oft in der klugen Anwendung bewährter Prinzipien.
Kritische Reflexion für moderne Architektur
Als Architekt mit vier Jahrzehnten Berufserfahrung beeindruckt mich besonders die Stringenz, mit der hier traditionelle Bauweisen als Lösungsansätze für aktuelle Herausforderungen präsentiert werden. Gleichwohl darf man die Grenzen der historischen Ansätze nicht verschweigen: Moderne Anforderungen an Barrierefreiheit, Brandschutz und Wohnkomfort erfordern durchaus zeitgemäße Interpretationen.
Fazit: Lernen von der Vergangenheit
Die Ausstellung „Wohltemperiert“ kommt zur richtigen Zeit. Sie macht deutlich, dass die Suche nach klimagerechter Architektur nicht bei null beginnen muss. Im Gegenteil: In der vernakulären Baukunst steckt ein reichhaltiger Erfahrungsschatz, der für die Herausforderungen der Gegenwart hochrelevant ist. Die Architektenschaft tut gut daran, diese altbewährten Prinzipien neu zu entdecken und zeitgemäß weiterzuentwickeln.
Die Ausstellung schafft damit etwas Bemerkenswertes: Sie verbindet historische Baukunst mit aktuellen Nachhaltigkeitsfragen und öffnet den Blick für eine klimagerechte Architektur der Zukunft, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit hat.