Ambitionen und Realitäten in der Diskussion

Vor einem Jahr strebte die Bundesregierung eine Verschärfung der geplanten EU-Gebäuderichtlinie an. Warum vertritt sie nun eine völlig andere Position?

Offenbar möchte die Bundesregierung vermeiden, erneut mit den Hauseigentümern aneinanderzugeraten, wie es im Frühjahr beim deutschen Heizungsgesetz der Fall war. „Für den Klimaschutz müssen wir wirklich nicht jedes kleine Häuschen belasten“, äußerte Klara Geywitz (SPD) vor kurzem gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung in Bezug auf die Reform der EU-Gebäuderichtlinie. Ihr Kabinettskollege, FDP-Chef Christian Lindner, betrachtet das Gesetz sogar als „enorm gefährlich“ und sorgt sich um den sozialen Frieden. Denn letztlich geht es erneut darum, wie viel den Bürgern zugemutet werden kann, um das Klima zu schützen und den Energieverbrauch zu reduzieren. Dabei stellt sich die Frage, ab welchem Punkt ein kritischer Teil der Hauseigentümer die Motivation verliert, CO2 einzusparen, sei es aufgrund der Kosten, der Befürchtungen bezüglich der finanziellen Belastung oder der wahrgenommenen Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Ob dies am Ende durch Fakten gestützt ist, spielt keine Rolle. Klimapolitik ist eine emotionale Angelegenheit, und in die privaten Wohnräume der Wähler einzudringen, ist heikel. Es deutet sich an, dass der Beitrag des Gebäudesektors zum Klimaschutz in der EU deutlich geringer ausfallen wird als ursprünglich geplant. Das größte Potenzial zur Energieeinsparung durch Wärmedämmung liegt eindeutig in Deutschland.

Im Dezember 2021 präsentierte die EU-Kommission die Überarbeitung der Gebäuderichtlinie als Teil des Grünen Deals, der darauf abzielt, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Fast 40 Prozent des Energieverbrauchs und mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen in Europa entfallen auf den Gebäudesektor, weshalb er neben Industrie, Energie- und Verkehrssektor ein entscheidendes Ziel der Klimapolitik ist. Bisher werden laut Kommission jährlich nur ein Prozent der Gebäude in der EU energetisch saniert. Auf dem Weg zum emissionsfreien Kontinent ist das zu wenig.

Die neue Richtlinie sieht erstmals einheitliche Energieeffizienz-Klassen für alle Gebäude vor, ähnlich der Ökodesign-Richtlinie, aus der die bekannten Energielabel für Elektrogeräte hervorgegangen sind (mit Noten von A bis G). Bis 2030 sollen alle ab dann errichteten Neubauten emissionsfrei sein. Alle bereits bestehenden Gebäude sollen dieses Ziel bis 2050 erreichen. Auf dem Weg dorthin sollen die Eigentümer kontinuierlich steigende Mindeststandards für Wärmedämmung und Heizung erfüllen. Im Unterschied zu einer direkt bindenden Verordnung müssen die 27 Mitgliedsländer die Richtlinie noch in nationales Recht übertragen, wobei es Spielraum bei der Umsetzung gibt.

Im Oktober 2022 einigte sich der Ministerrat auf eine gemeinsame Position zu dem Gesetz; im vergangenen März verabschiedete das EU-Parlament seine Position, einschließlich einer verschärften Sanierungspflicht für Gebäude mit schlechter Energiebilanz. Nach dem Wunsch des Parlaments müssten EU-weit bis 2030 alle Wohngebäude die Energieeffizienzklasse „E“ erreichen und drei Jahre später die Klasse „D“. Das ergibt Sinn, da die ineffizientesten Gebäude gleichzeitig das größte Einsparpotenzial haben und tendenziell ärmere Menschen darin leben, die am meisten von den Schwankungen der Gas- und Ölpreise betroffen sind. Außerdem geht es darum, die Abhängigkeit von Energieimporten weiter zu reduzieren.

Die Berliner Ampel hat jedoch ihre ursprünglichen Ambitionen inzwischen zurückgenommen. Nun steht eine Koalition von mindestens 16 EU-Staaten, die das Gesetz abschwächen wollen. Es ist daher absehbar, dass von der gefürchteten „Sanierungspflicht“ nicht viel übrig bleiben wird, sagen EU-Diplomaten voraus. Dabei hätte gerade Deutschland einen großen Hebel. „Wenn alle Wohngebäude in der EU besser isoliert wären, könnte das den Energieverbrauch um 44 Prozent senken. Allein durch Wärmedämmung“, sagt Oliver Rapf, Chef des Buildings Performance Institute Europe, eines auf Gebäudeenergie spezialisierten Thinktanks. „Das mit Abstand größte Einsparpotenzial entfällt auf Deutschland.“ Tatsächlich wurden 63 Prozent der Wohngebäude in Deutschland vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 gebaut, hat die Deutsche Energie-Agentur Dena ermittelt. Viele davon sind kaum oder überhaupt nicht energetisch saniert.

Das EU-Parlament wird viele Zugeständnisse machen müssen. Ende Juni trafen sich Kommission, Rat und Parlamentsvertreter erstmals zu den sogenannten Trilog-Verhandlungen, wenige Tage nach der Einigung im deutschen Heizungsstreit. Unter Verweis darauf sagt ein mit den Gesprächen im Rat vertrauter Diplomat, die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten „sehr viel Kontakt mit der Realität gehabt“. Und so lehnt sie eine Sanierungspflicht jetzt mehrheitlich ab, nachdem ihr der Kompromiss im Rat im vorigen Jahr noch nicht weit genug gegangen war. Eine Sanierung sei „ein Riesenakt, den wir nicht gesetzlich erzwingen dürfen“, sagte Geywitz der NOZ.

Die anstehenden Trilog-Verhandlungen sind für den 6. Oktober angesetzt. Dabei werden Mindeststandards und eine ausführlichere Version der Energieausweise für Gebäude diskutiert. Dieser Punkt birgt gewisse Kontroversen, da er darauf abzielt, mehr Transparenz bezüglich der Energiebilanz von Gebäuden zu schaffen. Dem gegenüber steht die Forderung einiger Mitgliedstaaten, Wohngebäude – die drei Viertel aller Immobilien in der EU ausmachen – vollständig von den Maßnahmen auszunehmen.

Es ist noch unklar, wie ein Kompromiss aussehen könnte, und ob sich die Verhandlungspartner bis zum Europawahlkampf im kommenden Frühjahr einigen werden, ist ungewiss. Es ist zu erwarten, dass die Vertreter des Parlaments erhebliche Zugeständnisse machen müssen.

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