
Antoni Gaudí: Architekt Gottes zwischen Seligsprechung und Weltrekord
Zwischen Andacht und Andrang
Barcelona, Frühjahr 2025: Während sich täglich Tausende Besucherinnen und Besucher vor der Sagrada Família drängen – viele mit erhobenem Smartphone – geschieht auf geistlicher Ebene ein Schritt von historischer Tragweite. Der Vatikan erkennt Antoni Gaudí offiziell als „ehrwürdigen Diener Gottes“ an – ein Meilenstein auf dem langen Weg zur möglichen Heiligsprechung. Gleichzeitig rückt der monumentale Bau der Sagrada Família seinem architektonischen Endziel näher: Noch vor Ende des Jahres soll der mittlere Jesus-Turm mit 172,5 Metern das Ulmer Münster überragen und zur höchsten Kirche der Welt werden.
Ein Glaube aus Stein gemeißelt
Für Gaudí war Architektur nie bloß Baukunst. Sie war Glaubensbekenntnis, Predigt und Gebet in einem. „Er hat das Evangelium in Stein übersetzt“, sagte Papst Benedikt XVI. bei der Weihe der Basilika im Jahr 2010 – ein Satz, der in seiner bildhaften Schlichtheit die Essenz von Gaudís Werk trifft. Die Sagrada Família ist nicht einfach ein Gotteshaus. Sie ist ein dreidimensionales Bekenntnis zum katholischen Glauben – durchdrungen von Symbolik, Spiritualität und der Überzeugung, dass die Schöpfung das höchste Vorbild für die Gestaltung sei.
Ein Bau für die Ewigkeit – oder wenigstens für Jahrhunderte
Die Bauzeit der Sagrada Família ist ebenso legendär wie ihre Formensprache. 1882 begonnen, wurde das Projekt seitdem durch Kriege, wirtschaftliche Krisen, politische Umbrüche und zuletzt die Corona-Pandemie immer wieder gebremst. Gaudí selbst erlebte nur ein Zehntel des Baufortschritts. Dennoch: Sein Erbe wirkt. Dank moderner Technologie und digitaler Planungsmethoden schreitet der Bau nun schneller voran als je zuvor – finanziert fast ausschließlich durch Eintrittsgelder und Spenden. Allein im Jahr 2024 generierte das Bauwerk Einnahmen von rund 134 Millionen Euro.
Turmbau mit Demut
Die geplanten 18 Türme folgen einer klaren theologisch-symbolischen Ordnung: zwölf Apostel, vier Evangelisten, einer für Maria – und über allem der Jesus-Turm. Doch selbst dieser wird den 173 Meter hohen Hausberg Barcelonas, den Montjuïc, nicht überragen. Gaudí verfügte dies aus Ehrfurcht vor der göttlichen Natur. Es ist diese Mischung aus Größenwahn und Demut, die seine Architektur so einzigartig macht.
Heiligsprechung oder Heldenverehrung?
Gaudís Seligsprechung ist seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Anliegen vieler Katholikinnen und Katholiken. Dass Papst Franziskus ihn nun als „ehrwürdig“ eingestuft hat, ist ein großer Schritt. Doch für die Seligsprechung fehlt weiterhin der Nachweis eines Wunders. Erst recht für die Heiligsprechung, bei der ein weiteres Wunder notwendig wäre. Der Prozess ist streng geregelt und bewusst langwierig. Es geht nicht um Personenkult, sondern um ein geprüftes und gefestigtes Glaubenszeugnis. Und dennoch: Die Popularität des Architekten ist ungebrochen – und wächst mit jedem Meter, den seine Basilika dem Himmel näherkommt.
Eine Kirche für die Instagram-Ära
Zwischen Andacht und Andrang liegt heute oft nur ein Selfie-Stick. Die Sagrada Família, deren Eintritt 26 Euro (mit Turmbesuch 36 Euro) kostet, ist so gefragt, dass die Stadt inzwischen „Selfie-Zonen“ eingerichtet hat, um das Gedränge zu steuern. Fast 5 Millionen Besucherinnen und Besucher jährlich sprechen eine deutliche Sprache – und werfen gleichzeitig Fragen auf: Wie viel Spiritualität bleibt übrig, wenn Pilgerfahrt zur touristischen Pflichtübung wird?
Eine gotisch-moderne Synthese
Architektonisch vereint die Sagrada Família neugotische Elemente mit naturalistisch-organischen Formen, inspiriert von der katalanischen Landschaft und Gaudís tiefer Spiritualität. Baumartige Säulen, lichtdurchflutete Fenster und skulpturale Fassaden erzeugen eine Atmosphäre, die mehr ist als spektakulär: Sie ist transzendent. Gaudí selbst sprach von einem „Wald aus Stein“, durch den das Licht wie durch ein Blätterdach fällt.
Zwischen Vision und Vollendung
Aktuell plant die Stiftung zur Vollendung der Sagrada Família die Weihe des Jesus-Turms für 2026 – zum 100. Todestag des Architekten, der 1926 nach einem tragischen Straßenbahnunfall verstarb. Ob dieses Ziel erreichbar ist, bleibt offen. Sicher ist jedoch: Die Fertigstellung des gesamten Bauwerks könnte sich bis 2033 hinziehen.
Ein Erbe, das weiter wächst
Gaudí mag seit fast einem Jahrhundert tot sein. Doch seine Vision lebt. Nicht nur in Stein, sondern auch im kulturellen Gedächtnis Barcelonas und der Welt. Ob er nun heilig oder „nur“ verehrt wird: Seine Architektur bleibt ein monumentales Zeugnis dafür, dass Glaube, Kunst und Technik sich nicht widersprechen müssen – sondern gemeinsam über sich hinauswachsen können.

Greenwashing am Bau: Österreichs Sanierungsschwindel entlarvt

Wien: Baukultur zwischen Tradition und Innovation
