
Dorte Mandrup entwirft den Central Tower Berlin: Braucht Berlin ein neues Wahrzeichen?
Ein himmelstrebender Kontrapunkt im Stadtbild
Als letzte Freifläche an der Kreuzung Stralauer Straße und Alexanderstraße unweit der Jannowitzbrücke soll der Central Tower Berlin in die Höhe wachsen. Nach einem mehrstufigen, international besetzten Werkstattverfahren setzte sich der Entwurf des Kopenhagener Architekturbüros Dorte Mandrup durch. Während die Planungen voranschreiten, stellt sich die Frage: Braucht Berlin, das bereits den Fernsehturm und zahlreiche historische Wahrzeichen besitzt, einen weiteren markanten Hochpunkt in seiner Skyline?
Die Architektur: Skulpturale Form mit Berliner DNA
Der geplante, etwa 115 Meter hohe Turm mit 27 Geschossen trägt unverkennbar die Handschrift seiner Schöpferin. Dorte Mandrup, die bereits 2020 mit dem Wettbewerbsgewinn für das Exilmuseum am Anhalter Bahnhof in Berlin auf sich aufmerksam machte, entwarf einen Baukörper von skulpturaler Qualität. Die Fassadengestaltung greift gekonnt Elemente der umliegenden Architektur auf – insbesondere die charakteristischen roten Ziegelbahnbögen der Nachbarschaft finden ihre Entsprechung im Design.
„Unser Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, der den hohen Anforderungen an moderne Arbeitsflächen gerecht wird und zugleich den Nachhaltigkeitskriterien von morgen entspricht“, erklärt Dorte Mandrup. Dieser Anspruch spiegelt sich in zahlreichen Details wider: Die Gebäudekrone integriert PV-Technologie zur Energieerzeugung, die gleichzeitig als Sonnenschutz dient. Begrünte Dächer und ein durchdachtes Regenwassermanagement sollen das Stadtklima positiv beeinflussen.
Ein Haus für alle: Das Nutzungskonzept
Anders als viele Bürotürme, die tagsüber belebt und abends verwaist wirken, verfolgt der Central Tower ein gemischtes Nutzungskonzept. Während etwa 70 Prozent der Flächen für Büros vorgesehen sind, sollen die restlichen 30 Prozent medizinische Einrichtungen, Bildungsangebote, Einzelhandel, Gastronomie und sogar Wohnungen beherbergen. Diese Mischung verspricht Leben rund um die Uhr und entspricht den aktuellen stadtplanerischen Leitbildern.
Besonders hervorzuheben ist die öffentlich zugängliche Terrasse, die voraussichtlich im sechsten Obergeschoss entstehen wird. Sie eröffnet nicht nur neue Perspektiven auf die Stadt, sondern schafft auch einen demokratischen Raum für Begegnungen – ein Aspekt, der in der Jury besonders positiv bewertet wurde.
Höhendiskussion: 115 oder 95 Meter?
Noch ist nicht alles in Stein gemeißelt. Der Investor HB Reavis Germany strebt eine Bauhöhe von 115 Metern an, während Denkmalschützerinnen und -schützer sowie der Bezirk Mitte eine Reduzierung auf 95 Meter fordern. Diese Diskussion verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen ökonomischen Interessen und dem behutsamen Umgang mit dem historisch gewachsenen Stadtbild.
Die Höhenfrage ist dabei mehr als nur ein Streit um Meter. Sie berührt grundsätzliche Fragen der Stadtentwicklung: Wie viel Vertikalität verträgt Berlin? Welche Rolle spielen neue Hochhäuser in einer Stadt, deren Silhouette traditionell eher horizontal geprägt ist?
Im Kontext der Berliner Hochhausentwicklung
Der Central Tower reiht sich ein in eine Serie neuer Hochhausprojekte, die in den letzten Jahren in Berlin entstanden sind oder sich in Planung befinden. Das 2021 aktualisierte Hochhausleitbild der Stadt gibt dabei den Rahmen vor: Nachhaltigkeit, städtebauliche Einbindung und innovative Nutzungsmischung stehen im Fokus.
Jurypräsident Prof. Jörg Springer brachte die Herausforderung treffend auf den Punkt: „Dass hier trotz der durchweg hohen Qualität der Beiträge noch kein abschließendes Ergebnis präsentiert werden kann, zeigt die Komplexität der Aufgabe. Es belegt zugleich, wie ernsthaft die Bauherrschaft das Berliner Hochhausleitbild in diesem Projekt umsetzt.“
Wandel eines Standorts
Interessant ist die Entwicklungsgeschichte des Grundstücks. Ursprünglich war hier ein deutlich niedrigerer Bau mit 68 Metern Höhe geplant, der als Hotel genutzt werden sollte. Nachdem sich jedoch kein Betreiber fand, wurde das Konzept grundlegend überdacht und an aktuelle städtebauliche Erfordernisse angepasst.
Diese Flexibilität im Planungsprozess ist bemerkenswert – und zeigt, wie sich Architekturprojekte an veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen können und müssen.

© Architekturbüro Dorte Mandrup
Braucht Berlin ein neues Wahrzeichen?
Die entscheidende Frage bleibt: Braucht Berlin, das bereits reich an ikonischen Bauwerken ist, ein weiteres Wahrzeichen? Die Antwort ist vielschichtig.
Einerseits prägen Bauwerke wie das Brandenburger Tor, der Fernsehturm und das Reichstagsgebäude die Identität der Stadt wie kaum etwas anderes. Sie sind nicht nur touristische Anziehungspunkte, sondern verkörpern auch historische Entwicklungen und gesellschaftliche Umbrüche.
Andererseits entwickelt sich Berlin stetig weiter. Neue Architekturen können den Zeitgeist einfangen und zukunftsweisende Impulse setzen. Der Central Tower hat das Potenzial, mehr als nur ein weiteres Hochhaus zu sein – er könnte ein Symbol für ein Berlin werden, das Tradition und Innovation, Ökologie und Ökonomie, Privates und Öffentliches in Balance bringt.
Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt fasst die Qualitäten des Projekts zusammen: „Durch die öffentlichen Nutzungen in den Sockelgeschossen und teilweise auf den Dachflächen gewinnt das Quartier an der Jannowitzbrücke an Lebendigkeit und Attraktivität.“
Fazit: Ein Turm mit Mehrwert
Der Central Tower wird die Berliner Skyline verändern – daran besteht kein Zweifel. Ob er zu einem neuen Wahrzeichenwird, hängt jedoch nicht allein von seiner Höhe oder seinem architektonischen Ausdruck ab, sondern davon, ob er von den Berlinerinnen und Berlinern angenommen wird.
Die Chancen stehen gut: Mit seinem durchdachten Nutzungsmix, den öffentlich zugänglichen Bereichen und dem Fokus auf Nachhaltigkeit entspricht er den aktuellen Anforderungen an zukunftsfähige Stadtarchitektur. Er könnte ein Beispiel dafür werden, wie vertikale Stadtentwicklung gelingen kann, ohne historische Bezüge zu ignorieren.
Berlin braucht vielleicht kein weiteres Wahrzeichen im klassischen Sinne – aber es braucht qualitätsvolle Architektur, die Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit gibt. Der Central Tower hat das Potenzial, genau das zu leisten.

Klimaschutz aus der Vergangenheit: Freilichtmuseum Molfsee zeigt Wege zur Energiewende

Wasser, Architektur und Intelligenz
