Baukunst-Rosensteinquartier: Wenn Gesetze Träume bremsen
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Rosensteinquartier: Wenn Gesetze Träume bremsen

23.09.2024
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stu.ART

 

In der Planung ambitionierter Städtebauprojekte lauern oft unerwartete Herausforderungen. Das Rosensteinquartier in Stuttgart, ein Vorzeigeprojekt modernen urbanen Lebens, steht nun vor einer solchen Hürde. Eine kleine Änderung im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) könnte weitreichende Folgen für die Entwicklung dieses zukunftsweisenden Stadtviertels haben.

Das Rosensteinquartier: Eine Vision urbaner Lebensqualität

Auf einer Fläche von etwa 85 Hektar, dort wo heute noch Gleise des Stuttgarter Hauptbahnhofs verlaufen, soll ein lebendiges Quartier entstehen. Die Pläne sind beeindruckend: Rund 5.600 Wohnungen, Schulen, Kindertagesstätten und Gewerbeflächen sollen hier Platz finden. Das Konzept vereint moderne Wohnformen mit sozialer Infrastruktur und großzügigen Grünflächen. Es ist ein Paradebeispiel für nachhaltige Stadtentwicklung, das die Lebensqualität in Stuttgart spürbar verbessern könnte.

Der Stolperstein: Ein Paragraf mit Sprengkraft

Doch nun droht eine Gesetzesänderung, die ursprünglich dem Schutz stillgelegter Bahnstrecken dienen sollte, zum Stolperstein für das Rosensteinquartier zu werden. Der neu formulierte Paragraf 23 des AEG erklärt Bahnbetriebsflächen zum „überragenden öffentlichen Interesse“. Dies klingt zunächst harmlos, hat aber weitreichende Konsequenzen: Eine Umnutzung solcher Flächen, etwa für Wohnungsbau, wird dadurch erheblich erschwert.

Zwischen Bahninteressen und Wohnraumbedarf

Die Crux liegt in der Interpretation des „überragenden öffentlichen Interesses“. Während militärische Zwecke oder erneuerbare Energieprojekte dieses Kriterium erfüllen, tut der Bau von Wohnungen dies offenbar nicht. Diese Auslegung des Eisenbahnbundesamts (EBA) stellt Stadtplanerinnen und Stadtplaner vor ein Dilemma: Wie lässt sich der dringend benötigte Wohnraum schaffen, wenn potenzielle Flächen nicht freigegeben werden?

Stuttgart 21 und das Rosensteinquartier: Zwei Seiten einer Medaille

Das Rosensteinquartier ist eng mit dem Projekt Stuttgart 21 verknüpft. Die Verlegung des Hauptbahnhofs unter die Erde sollte nicht nur den Bahnverkehr optimieren, sondern auch wertvolle innerstädtische Flächen für die Stadtentwicklung freigeben. Nun droht dieser zweite, für viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter zentrale Aspekt des Mammutprojekts zu scheitern.

Die Stadt Stuttgart: Zuversichtlich trotz Hindernissen

Die Stadtverwaltung gibt sich kämpferisch. Ein Sprecher betonte, der Bund sei nicht zu einer reinen Vorratshaltung von Bahnflächen befugt. Die bloße Möglichkeit einer künftigen Bahnnutzung reiche verfassungsrechtlich nicht aus, um die Planungshoheit der Kommunen einzuschränken. Diese Argumentation zeigt, dass die Stadt gewillt ist, für die Realisierung des Rosensteinquartiers einzustehen.

Politische Reaktionen und Lösungsansätze

Die unbeabsichtigten Folgen der Gesetzesänderung haben auch in Berlin für Aufmerksamkeit gesorgt. Isabel Cademartori, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, kündigte Nachbesserungen an. Sie betonte, es sei nicht beabsichtigt gewesen, „dringend notwendige Wohnungs- und Städtebauprojekte wie etwa das Rosensteinviertel in Stuttgart zu verhindern“. Diese Aussage lässt hoffen, dass eine Lösung gefunden werden kann, die sowohl den Interessen des Bahnverkehrs als auch denen der Stadtentwicklung gerecht wird.

Zwischen Vision und Realität: Die Zukunft des Rosensteinquartiers

Das Rosensteinquartier steht exemplarisch für die Herausforderungen moderner Stadtplanung. Es geht um mehr als nur Wohnraum – es geht um die Schaffung eines lebenswerten, nachhaltigen urbanen Umfelds. Die geplanten Grünflächen, die Mischung aus Wohn- und Gewerbeflächen und die Integration sozialer Einrichtungen machen das Quartier zu einem Modellprojekt für zukunftsorientierte Stadtentwicklung.

Fazit: Ein Weckruf für die Stadtplanung

Die aktuelle Situation um das Rosensteinquartier ist ein Weckruf. Sie zeigt, wie komplex die Abstimmung verschiedener Interessen in der Stadtentwicklung sein kann. Gleichzeitig bietet sie die Chance, grundsätzlich über den Umgang mit innerstädtischen Flächen nachzudenken. Wie können wir Städte so gestalten, dass sie den Bedürfnissen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gerecht werden und gleichzeitig zukunftsfähig bleiben?

Das Rosensteinquartier mag vor einer unerwarteten Hürde stehen, doch die Vision eines lebendigen, nachhaltigen Stadtviertels bleibt bestehen. Es liegt nun an Politikerinnen und Politikern, Planerinnen und Planern sowie der Zivilgesellschaft, gemeinsam Lösungen zu finden. Denn eines ist klar: In Zeiten zunehmender Urbanisierung und Wohnungsknappheit können wir es uns nicht leisten, solch vielversprechende Projekte scheitern zu lassen. Das Rosensteinquartier könnte nicht nur für Stuttgart, sondern für ganz Deutschland zum Vorbild werden – vorausgesetzt, es gelingt, die rechtlichen Hürden zu überwinden und die Vision Realität werden zu lassen.