Statt Eiffelturm eine Sonnensäule?

Anstelle des avantgardistischen Entwurfs von Gustave Eiffel und seinem Ingenieurbüro hätte auch ein gänzlich anderer Turm errichtet werden können. Kein filigranes Gebilde, sondern ein massiver Granitkoloss mit etwa 300 Metern Höhe.

Doch der kühne Plan scheiterte an seinem Gewicht. Heute ist der Eiffelturm die meistbesuchte Sehenswürdigkeit der Welt. Touristen betrachten ihn als das Symbol von Paris schlechthin, während Einheimische das elegante Eisengitter an der Seine als „Die Dame aus Eisen“ verehren. Der 324 Meter hohe Turm ist das Monument einer Ära des unerschütterlichen Glaubens an die Zukunft.

Seit der ersten Weltausstellung 1851 in London, genannt „Great Exhibition oft the Works of Industry of All Nations“, wurden Demonstrationen des technischen und industriellen Könnens willkommen geheißen. Frankreich veranstaltete in dieser Tradition drei solcher Leistungsschauen in den Jahren 1855, 1867 und 1878.

Für das Jubiläum der Französischen Revolution setzte die Regierung auf noch größere Visionen. Ein symbolträchtiges Prestigebauwerk sollte die Machtansprüche unterstreichen: Zum Jubiläum im Jahr 1889 wünschte sich Ministerpräsident Jules Ferry ein architektonisches Statement, mit dem sich Paris als Weltkapitale des Fortschritts präsentieren könnte. Insgesamt wurden 107 Vorschläge für das Megaprojekt eingereicht – alle waren gleichermaßen gewagt. Man plante nichts Geringeres als den „Wiederaufbau der Türme von Babel“, schwärmte der Journalist Pierre Giffard in der Tageszeitung „Le Figaro“ am 7. Januar 1885.

Bereits im 19. Jahrhundert träumten Stadtplaner und Ingenieure von himmelhohen Bauwerken. Der britische Erfinder und Maschinenbauer Richard Trevithick, der 1804 die erste funktionsfähige Dampflokomotive entwickelte, empfahl 1833 den Bau eines 300 Meter hohen goldenen Wolkenkratzers für London. Mit seinem Tod verblasste jedoch auch dieser luftige Traum. Rund 40 Jahre später kursierten in den USA ähnliche urbane Utopien. Zur Universalausstellung 1876 in Philadelphia erdachten die Ingenieure Clark und Reeves einen gewaltigen Pylonen, 304 Meter hoch und mit einem Durchmesser von neun Metern, gehalten von Abspannkabeln. Das Konzept zierte im Januar 1874 die Ausgabe des „Scientific American“ – aber die Realisierung des astronomischen „Centennial Tower“ scheiterte an den ebenso astronomischen Kosten. Von derlei Fehlschlägen ließ sich die französische Regierung nicht abschrecken. Die besten Architekten und Ingenieurbüros arbeiteten an fantastischen Entwürfen für das Jubiläumsevent von 1889. „Sicher ist, dass unsere besten Gehirne darüber nachdenken“, berichtete der „Figaro“. „Man spricht bereits von einem dreiteiligen Ereignis, wissenschaftlich, politisch, humanitär.“ Im Rennen um die spektakulärste Idee hatte Gustave Eiffel, schon damals berühmt als „großer Konstrukteur von Eisenbrücken“, zunächst die Nase vorn. Seine Mitarbeiter Maurice Koechlin und Émile Nouguier entwickelten ein verblüffendes Konzept: Der Bau eines 300 Meter hohen, vierbeinigen Turms aus genieteten Eisenträgern.

Eiffel meldete die Pläne am 18. September 1884 als gemeinsames Patent an, kaufte aber den beiden Helfern ihre Rechte wieder ab. Nur sein Name sollte fortan mit dem Turm verbunden sein: „Eine Pyramide von 300 Meter Höhe, ganz und gar aus Eisen“, beschrieben zeitgenössische Medien das Projekt. „Es wäre die Apotheose der Bauschlosserei“, lobte Figaro-Autor Giffard. Doch das avantgardistische Projekt stieß auf Widerstand. „Solch ein Turm“, protestierte ein Kollektiv namhafter Künstler, würde wie ein „gigantischer Fabrikschlot mit seiner barbarischen Masse“ die historischen Wahrzeichen erdrücken, wäre „schwindelerregend lächerlich“ und sein „hässlicher Schatten ein Tintenfleck“ auf dem Panorama der Metropole.

Die Alternativen waren nicht weniger monumentale, aber äußerlich orientierten sie sich an historischen Vorbildern. Der ambitionierteste Gegenvorschlag stammte von Amédée Sébillot. Der Pariser Ingenieur überzeugte den Architekten Jules Bourdais von seiner Idee, die noch grandioser war als Eiffels Eisenkonstruktion: Die „Colonne Soleil“ sollte „als elektrischer Leuchtturm fungieren, mehr noch als künstliche Sonne, und so im städtischen Nachtraum die Nacht praktisch abschaffen“, wie die Historikerin Daniela Kneißl in ihrer Dissertation schrieb. Bourdais, der bereits den Trocadéro-Palast als Monumentalbau für Paris errichtet hatte, war begeistert. Für das Zentrum von Paris entwickelte er mit Sébillot die Vorstellung eines 300-Meter-Turms, zugänglich über vier Aufzüge, die 2000 Personen transportieren könnten. An der Spitze sollte eine 55 Meter hohe „Sonnen-Laterne“ die gesamte Metropole erleuchten – sogar die Vororte außerhalb des direkten Lichtkegels des mächtigen Leuchtturms. Diese sollten „durch eine Reihe von Parabolspiegeln in Licht getaucht werden, die dazu auf verschiedenen erhöhten Orten von Paris platziert werden, um die Straßen mit Licht zu versorgen“.

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