Baukunst-Wie Max Dudler der Industriegeschichte Hannovers neues Leben einhaucht
Hannover ©Joshua Kettle/Unsplash

Wie Max Dudler der Industriegeschichte Hannovers neues Leben einhaucht

24.04.2025
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Ignatz Wrobel

Architektur als Vermittlerin: Max Dudlers Neuinterpretation in Hannover

Inmitten der Wasserstadt Limmer in Hannover wird Geschichte neu geschrieben – oder vielmehr neu gebaut. An der Schnittstelle von Vergangenheit und Zukunft hat das Architekturbüro Max Dudler in Zusammenarbeit mit Seeberger Walenta Architekten eine städtebauliche Lösung entwickelt, die das historische Erbe der Continental-Werke achtet und zugleich den städtischen Raum mit neuer Funktionalität auflädt.

Ein Denkmal mit Ablaufdatum

Die markanten Produktionshallen der Continental AG waren jahrzehntelang ikonische Bestandteile der Industriearchitektur am Stichkanal Linden. Doch nach über 20 Jahren Leerstand und zahlreichen Gutachten ist klar: Eine Rettung war nicht möglich. Krebserregende Nitrosamine, fest in den Gebäuden nachweisbar, machten einen Erhalt untragbar. Der Kompromiss: ein Neubau, der in Form und Haltung an das Denkmal erinnert – aber neu gedacht ist.

Zwischen Kanalkante und Stadtraum

Dudlers Entwurf reagiert mit klarer Haltung auf diesen sensiblen Kontext. Zwei neue Baukörper rahmen die offene Fuge zur Wasserzone, durchbrechen die Blockrandstruktur und führen den öffentlichen Raum zum Ufer. Die vertikale Gliederung der Klinkerfassade, das geneigte Mansarddach – sie zitieren den Altbau, ohne ihn zu kopieren. Der größere Bau nimmt kulturelle und gewerbliche Nutzungen im Erdgeschoss auf, darüber entstehen Wohnungen mit Blick auf den Kanal. Die Typologie bleibt vertraut, der Ausdruck hingegen ist zeitgemäß.

Würdiger Nachfolger statt Rekonstruktion

„Dem Team ist es gelungen, eine Wiedererrichtung für die historischen Industriedenkmäler zu planen, die diese nicht nur angemessen neuinterpretiert, sondern als Identifikationsort für Limmer wahrt“, sagt Stadtbaurat Thomas Vielhaber. Die Jury lobte insbesondere den städtebaulichen Übergang zwischen Alt und Neu, die klare Formsprache und das gelungene Einbinden der denkmalgeschützten Verbindungsbrücke.

Eine Fassade als Scharnier

Der zweite Baukörper, kleiner und in seiner Form leicht geknickt, schafft eine visuelle Spannung zur benachbarten Bebauung. Großformatige Öffnungen, weniger Ornament – hier zeigt sich die Freiheit im Umgang mit der Moderne. Eine Kita im Erdgeschoss und Büroflächen darüber spiegeln die neue Nutzungsmischung wider. Die Verbindungsbrücke wird als bauliches Relikt integriert, beinahe beiläufig, aber nicht ohne Respekt.

Industriecharme für eine neue Stadtgesellschaft

In Dudlers Entwurf verbinden sich Kontinuität und Transformation. Die strenge Tektonik der Fassade, der Umgang mit Materialität und Kubatur sprechen die Sprache der Geschichte – jedoch mit einem modernen Vokabular. So entsteht kein Abbild, sondern ein erinnerndes Echo der Vergangenheit.

Blick nach vorn – ohne das Gestern zu vergessen

Der Entwurf lebt von seiner Klarheit, seiner Strenge, seinem feinen Gespür für Maßstab und Material. Und er steht symbolisch für einen bewussten Umgang mit dem Erbe: nicht bewahren um jeden Preis, sondern würdig ersetzen, was nicht mehr zu retten ist. Das Projekt ist ein Beispiel für verantwortungsvolle Transformation – und ein Zeichen, dass Erinnerung kein Hindernis, sondern ein Fundament für den Fortschritt sein kann.