Baukunst-Zwischen Kunst und Propaganda: Das Von der Heydt-Museum wagt die Aufarbeitung
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Zwischen Kunst und Propaganda: Das Von der Heydt-Museum wagt die Aufarbeitung

22.12.2024
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stu.ART

Der Schnitt durchs Schweigen – Fontanas Doppelleben zwischen Kunst und Architektur

Das historische Von der Heydt-Museum in Wuppertal öffnet nach langer Pause wieder seine Türen für einen der umstrittensten Künstler des 20. Jahrhunderts. Lucio Fontana, bekannt für seine radikalen Schnittbilder, kehrt in einer Ausstellung zurück, die nicht nur seine Kunst, sondern auch deren Verhältnis zur Architektur neu beleuchtet.

Architektonische Bühne für gespaltene Geschichte

Das 1842 von Johann Peter Cremer errichtete Museumsgebäude bildet mit seiner klassizistischen Formensprache einen spannungsreichen Kontrast zu Fontanas modernistischen Werken. Die hohen Säle mit ihrem charakteristischen Seitenlicht schaffen eine kontemplative Atmosphäre, die den Dialog zwischen Raum und Kunst befördert. Besonders gelungen erscheint die Inszenierung der berühmten „Tagli“ (Schnittbilder) in den restaurierten Oberlichtsälen, wo die Architektur des Hauses die räumliche Wirkung der Werke verstärkt.

Verstörende Parallelen

Die Ausstellung offenbart eine bislang wenig beachtete Dimension: Fontanas frühe Verbindung zur faschistischen Architekturbewegung Italiens. Seine Reliefs für den Mailänder Justizpalast und der nicht realisierte Triumphbogen für Addis Abeba zeigen eine problematische Verschmelzung von Kunst und politischer Architektur. Die monumentalen Dimensionen seiner Arbeiten für das Hauptquartier der Federazione dei Fasci Milanese korrespondieren auf verstörende Weise mit der Grandezza faschistischer Baukunst.

Raumgreifende Transformation

Nach 1947 vollzog Fontana eine radikale Wendung. Seine Schnittbilder und durchlöcherten Leinwände („Buchi„) entwickelten eine neue Beziehung zum architektonischen Raum. Die Ausstellung im Von der Heydt-Museum macht diese Transformation durch ihre durchdachte Raumchoreographie erlebbar. Besonders eindrucksvoll gelingt dies in der Rekonstruktion eines seiner Environments – raumgreifende Installationen, die die Grenzen zwischen Kunst und Architektur aufheben.

Kritischer Dialog mit dem Bau

Die Kuratorin Dr. Beate Eickhoff und ihr Team haben die historische Museumsarchitektur geschickt in ihr Ausstellungskonzept integriert. Die klassizistischen Raumfolgen des Von der Heydt-Museums werden zu einem aktiven Dialogpartner der Kunst. Fontanas späte Werke, die sich mit Licht, Raum und Material auseinandersetzen, finden in den sorgfältig restaurierten Sälen eine angemessene Bühne.

Architektonisches Vermächtnis

Die Ausstellung macht deutlich, wie sehr Fontanas Werk die Nachkriegsarchitektur beeinflusst hat. Seine radikale Neuinterpretation des Raums inspirierte Architektinnen und Architekten wie Coop Himmelb(l)au oder Zaha Hadid. Die Zusammenarbeit mit dem Mailänder Architekten Luciano Baldessari zeigt exemplarisch die fruchtbare Verbindung zwischen Kunst und Baukunst.

Fazit: Spannungsreiche Synthese

Das Von der Heydt-Museum leistet mit dieser Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung von Fontanas komplexem Werk. Die gelungene Synthese von historischer Museumsarchitektur und moderner Kunstpräsentation schafft einen differenzierten Rahmen für die kritische Auseinandersetzung mit dem Künstler. Dabei wird deutlich, dass Fontanas Verhältnis zur Architektur – von der faschistischen Monumentalität bis zur radikalen Raumöffnung – ein Schlüssel zum Verständnis seines Gesamtwerks ist.

Die Ausstellung „Lucio Fontana: Erwartung“ läuft vom 5. Oktober 2024 bis zum 12. Januar 2025 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum.